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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 25.05.2004


Interview mit Dr. phil. Zsuzsa Breier
Anne Winkel

Die Kulturattachée der ungarischen Botschaft ist Initiatorin und Leiterin des "Kulturjahres der Zehn", das vom 30 April 2004 bis in den Mai 2005 ein abwechslungsreiches Programm bereithält.




Dr. Zsuzsa Breier, 1963 geboren, studierte Germanistin und Slawistin. 1988 verfasste sie ihre Diplomarbeit an der "Eötvös Lorand Universität" (ELTE) in Budapest. 1991 folgte der "Doktoris Universitatis" und 1997 das "Diploma Promotionis", jeweils in der germanistischen Literaturwissenschaft. Durch ein DAAD-Stipendium verbrachte sie bereits von 1989 bis 1991 zwei Jahre in Deutschland (Heidelberg). Von 1993 bis 1998 war Dr. Breier als Dozentin der Literaturwissenschaft (Germanistik) an der ELTE in Budapest tätig. 1999 unterstütze sie als persönliche Referentin den "Kulturstaatssekretär im Ministerium für das Nationale Kulturerbe in Ungarn". Seit 2000 ist die Germanistin Diplomatin der "Botschaft der Republik Ungarn" in Berlin und seit 2001 außerdem Gründerin und Leiterin des "Kreises Berliner Kulturdiplomaten". 2003 startete die fünffache Mutter mit ihrem Projekt "Gemeinsam - das KULTURJAHR der zehn EU-Beitrittsländer".
Neben ihrer Muttersprache ungarisch spricht die Diplomatin fließend deutsch und verfügt über gute englische und russische Sprachkenntnisse.

Publikationen (Auswahl):
Auswärtige Kulturpolitik in Deutschland. In: Kulturdiplomatische Konzepte. Budapest: László Teleki Institut, 2003.

Ithaka und das Niemandsland. Zu der Straußchen Utopie. In: Élet és Irodalom Budapest XLI, Nr. 13, 1997.

Opus metaphysikum oder Revolte gegen die sekundäre Welt. In: Heilbronn, Budapest 3/1996, 296-307.

Suche nach dem wirklichen Leben und eigentlichem Ich im Werk von Max Frisch. Bern, Frankfurt, Paris, N.Y., Wien: Lang, 1992.

AVIVA-Berlin: Durch die gescheiterte Einigung wird nun nur der griechische Teil Zyperns der EU beitreten. Wie hatten Sie diese noch offene Entscheidung in ihrer Planung der Veranstaltungen einbezogen? Wurden türkische Beiträge Zyperns aufgenommen?
Dr. Zsuzsa Breier: Im Rahmen des KULTURJAHRes der ZEHN sind natürlich auch Beiträge von türkischen Zyprioten einbezogen. Beispielsweise beim Straßenfest am 30. April/01. Mai am Pariser Platz hat der türkisch-zypriotische Künstler Hulusi Halit die Kinderecke und den Malwettbewerb geleitet. Griechische Zyprioten und türkische Zyprioten werden auch des Weiteren im KULTURJAHR vertreten sein.

AVIVA-Berlin: Sie betonen immer wieder Ihre Zugehörigkeit zur Mitteleuropäischen Kultur. Was genau macht in Ihren Augen diese Kultur aus? Und wo liegen die Unterschiede zwischen deutscher und ungarischer Kultur?
Dr. Zsuzsa Breier: Wenn wir das ungarische Beispiel nehmen: vor 1000 Jahren entstand der Staat Ungarn in Mitteleuropa. Seine Kultur ist wesentlich geprägt worden durch das christliche Europa: bei Staatsgründung war v.a. der deutsche (bayrische) Einfluß bestimmend, im Renaissance italienische Einflüsse, später die Vielfalt der österreich-ungarischen Monarchie und so ging es weiter: rund herum unterschiedliche Ethnien und Kulturen mit denen Ungarn in ständiger Wechselbeziehung stand. Eine in Europa, nicht zuletzt mit der deutschsprachigen Kultur in enger Verbundenheit entstandene mitteleuropäische Kultur ist also die ungarische, wobei das Besondere daran ist, dass sie nicht als isolierte Einheit wuchs, sondern in ständiger Reibung und Auseinandersetzung mit den umgebenden östlichen, westlichen, nördlichen und südlichen Nachbarn sich entwickelte. Sie bewahrt auch Elemente einer mitgebrachten "Urkultur", die weder mit der westeuropäischen, noch mit der slawischen Kultur eine Verwandschaft aufweist, auf.

AVIVA-Berlin: Was wünschen Sie sich am Ende mit dem KULTURJAHR der ZEHN bewirkt zu haben?
Dr. Zsuzsa Breier: Einen intensiven Beitrag dazu geleistet zu haben, dass das oft sehr einseitige Bemühen der neuen EU-Ländern, die Zukunft Europas gemeinsam zu gestalten, nun auf beide Seiten sich ausdehnt. Daß eine mit dem Rücken dem Osten zu aufgewachsene junge Generation in Deutschland sich ernsthaft den neuen europäischen Ländern zuwendet und mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Interesse und Offenheit, wie dem Westen oder Amerika. Daß durch den vom KULTURJAHR ins Auge gefassten und geförderten Dialog des Westens mit allen zehn neun Ländern insgesamt das das kulturelle Bewusstsein in Europa sich erweitert.

AVIVA-Berlin: Die Veranstaltungen im Rahmen des KdZ umfassen musikalische Darbietungen, Lesungen, Ausstellungen und Diskussionen. Wen möchten Sie mit den Veranstaltungen ansprechen? Glauben Sie, dass Sie die von Ihnen angesprochene Gleichgültigkeit vieler Menschen aufbrechen können oder sind es nicht vielmehr die bereits Kultur)Interessierten, die das Programm nutzen?
Dr. Zsuzsa Breier: Obwohl wir auch Partner ansprechen, die bereits ein Interesse und Kontakte diesen Ländern gegenüber haben, gelten unsere Bestrebungen v.a. gerade dem noch zu gewinnenden Neuland: wir wollen bewusst Partner, Kulturmachende und Kulturinteressierte, die bis jetzt nichts oder wenig mit diesen Ländern unternommen haben, zu einem Dialog gewinnen. Wir wollen, dass durch die Wahrnehmung der jüngsten Geschichte dieser Länder, durch das Kennenlernen der Gesellschaft, der Bürger, des gegenwärtigen Denkens, von Kunst und Kultur Unkenntnis, Vorurteile, Ängste und Arroganz abgebaut werden. Anders gesagt: das noch Befremdende zwischen unseren Ländern soll zum Vertrauten werden.

AVIVA-Berlin: Was glauben Sie, bringen die "neuen" EU-Staaten mit? Was können wir voneinander lernen? Sind auch kulturübergreifende Kooperationen geplant? Z. B. gemeinsame Theaterprojekte?
Dr. Zsuzsa Breier: Die Neuen bringen neue Kapazitäten, neue Potentiale mit. Man kann das insgesamt einen kulturellen Rechtum nennen, es geht dabei auch um Fähigkeiten, wie Flexibilität, geistige Kreativität, Engagement. Es geht nicht nur um bekannte Traditionen, sondern auch um Gegenwartskultur. Es geht manchmal nur schlicht um das Andere: andere Denkweisen, andere Prioritäten, andere Erfahrungen, andere Mentalitäten, andere Verhaltensweisen. Das gemeinsame Europäische ist nie etwas Homogenes gewesen: mit der Vielfalt kann man nur dann gut zusammenleben, wenn man das andere erkennt und als nächsten Schritt den Versuch macht, damit umzugehen.
Ich höre immer wieder von deutschen Wirtschaftsleuten , dass für die in letzter Zeit zur Stagnation neigende, Ermüdungserscheinungen aufweisende deutsche Wirtschaft die neuen EU-Länder eine enorme Wachstums-Chance bedeuten. Ich habe den Eindruck, diese Erkenntnis fehlt noch in den anderen Bereichen. Der Wachstum soll nicht nur Unternehmern, Wirtschaftsleuten vorbehalten werden: die Erweiterung der EU soll in allen Bereichen als Wachstums-Chance wahrgenommen werden.

AVIVA-Berlin: Auf der Pressekonferenz zum KULTURJAHR der ZEHN ist mehrmals das Fehlen eines identitätsstiftenden Symbols für Europa bemängelt worden (in architektonischer Hinsicht). Haben Sie einen Vorschlag für ein europäisches Symbol? (auch nicht Architektonisches)?
Dr. Zsuzsa Breier: In meinem Verständnis hat ein identitätsstiftendes Symbol doch immer etwas mit Nation oder Heimat zu tun. Europa ist mehr als eine Nation, es ist gerade das Zusammenleben von vielen Nationen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass diese Vielfalt architektonisch oder wie immer auf einen Nenner - sei es nur ein symbolischer - zu bringen wäre, der einem jeden Mitglied der Gemeinschaft entgegenkommt und entspricht. Mir ist es wichtiger, dass man identitätsstiftende Taten anstrebt: Europas Identität ist in meinen Augen das gemeinsame Handeln, gegenseitige Rücksichtnahme, Akzeptanz und Toleranz. Wie in einer Großfamilie: da gibt es Männer und Frauen, Erstgeborene und Spätgeborene, Große und Kleine, Blauäugige und Braune, Choleriker und Sangwiniker - die Familie funktioniert gut, wenn alle gleich lieb und gleich wichtig sind, wenn ein Zusammengehörigkeitsgefühl waltet, wenn die unterschiedlichen Charaktere und Lebenswege gegenseitig akzeptiert werden, wenn alle miteinander den Kontakt und einen guten Ton pflegen.

AVIVA-Berlin: In Ihrer Ausbildung liegt der Schwerpunkt eher auf der Germanistik und der Vermittlung neuerer deutscher Literatur an ungarische StudentInnen? Mit dem KULTURJAHR gehen Sie nun den umgekehrten Weg und möchten die ungarische Kultur nach Deutschland bringen. Wie kam es zu diesem Entschluss?
Dr. Zsuzsa Breier: Ich finde diese Möglichkeit ganz spannend, in beide Richtungen etwas bewirken zu können. Meine Biographie hat mir dazu die Gelegenheit geboten und ich habe das gerne angenommen. Was mich am KULTURJAHR der ZEHN wirklich reizt, ist das Überwinden der - eben auch noch sehr eingeschränkten - bilateralen Beziehungen. Wir sind jetzt in Europa wirklich Viele, die miteinander wollen und nun können müssen. Wenn ein jeder nur die Interessen seines Landes oder noch für die eines bilateralen Partners vor Augen hält, ist noch damit wenig insgesamt getan. Ich bin fest überzeugt davon, dass wir neue Wege gehen müssen.

AVIVA-Berlin: Sie sind 1963 geboren, sind verheiratet und haben fünf Kinder: Wie haben Sie es geschafft Familie und berufliches Fortkommen zu vereinbaren?
Dr. Zsuzsa Breier: Wenn Sie meine ehrliche Antwort hören wollen: schwierig. Ich hatte das innere Bedürfnis, beides zu haben. Viele Kinder und eine zusätzliche berufliche Tätigkeit, durch die ich etwas bewegen kann und die mich daher ausfüllt. Es war und ist aber ein ständiges Dilemma: wieviel Zeit und Energien dürfen dem Beruf gewidmet sein, so dass der Familie auch noch das Nötige zur Verfügung steht. Ein Balanceakt. Ich behaupte gar nicht, dass ich dabei immer das richtige Maß gefunden habe: aus heutiger Sicht würde ich mutiger mich mehr für meine Kinder entscheiden. Ich bin in einer männer-dominierten Gesellschaft aufgewachsen, in der Frauen immer wesentlich mehr leisten mussten, um sich behaupten zu können, als Männer - dies begünstigt natürlich nicht das Entstehen einer gesunden Balance zwischen Muttersein und Karriere.

AVIVA-Berlin: Ist die Familie mit Ihnen nach Berlin gekommen? Fühlen Sie sich wohl in Berlin? Kann Ihre Liebe zur Natur befriedigt werden?
Dr. Zsuzsa Breier: Ich bin als alleinerziehende Mutter mit 5 Kindern nach Berlin gekommen, wo ich mich von vornherein sehr wohl fühlte. Die Gründe dafür sind vielfältig: So ganz simple Gründe, wie das Stadtbild mit den vielen Wäldern und Seen spielen dabei auch eine Rolle. Berlin mit seinen vielen unterschiedlichen Gesichtern und Bewohnern ist eine Stadt, die gerade durch seine Internationalität eine sehr entspannte, tolerante, neugierige Atmosphäre bietet. Zugleich ist die Stadt noch nicht ganz definiert und sucht selber nach ihren Möglichkeiten: bietet daher für kreative reichlich Gestaltungsmöglichkeiten. Als Kulturattachée der Ungarischen Botschaft hatte ich die spannende Aufgabe, ein neues Botschaftsgebäude kulturell einzuführen und zu bespielen. Dabei spürte ich die zusätzliche Herausforderung, Internationales und "Heimisches" zu verknüpfen - wobei das sich auch sehr aufspaltet: im heutigen Berlin kommt auch aus Deutschland so vieles Unterschiedliches zusammen - und dieses Zusammenführen über das Bilaterale hinaus zu praktizieren macht aus meiner Sicht heute sehr viel Sinn - da entsteht wirklich etwas Europäisches.

AVIVA-Berlin: Was fehlt Ihnen in Berlin, was würden Sie sich für die Stadt wünschen?
Dr. Zsuzsa Breier: mehr Wirtschaftskraft, die dann auch der Kultur zugute käme

AVIVA-Berlin: Welche Pläne haben Sie für die Zeit nach Ihrer Tätigkeit als Kulturattachée und nach dem KULTURJAHR der ZEHN?
Dr. Zsuzsa Breier: Das langfristige Planen habe ich mir abgewöhnt: ich war immer ein sehr gründlicher Planer, und dann ist immer alles anders gekommen, als ich plante und dabei meistens sogar viel besser… Daher lasse ich jetzt nun das Planen. Mal sehen, wo ich meine Ideen und Erfahrungen einsetzen kann.


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Beitrag vom 25.05.2004

AVIVA-Redaktion